Als der Tourismus boomte

Vor 100 Jahren wurden in Rengsdorf zwei neue Gästehäuser gebaut - Bewegte Geschichte

Die Gebrüder Wright machen gerade ihre ersten Flugversuche, Carl Benz stellt das erste Automobil in (Mini-)Serie her. Als sich die Menschen noch mit Pferd und Wagen oder in sehr gemächlichen Eisenbahnen fortbewegen und Länder wie Italien und Spanien fast unerreichbar sind, boomt der Tourismus im Westerwald - vor allem im heilklimatischen Kurort Rengsdorf.

Der Bau der Ortsumgehung Rengsdorf ist in vollem Gange. 2011 soll sie fertiggestellt sein und somit der dichte Verkehr aus dem Ortskern geleitet werden. Dann, so hoffen die Verantwortlichen in der Gemeinde, soll es einen touristischen Aufschwung im Kurort geben.

Dass jedoch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder der Zustand erreicht wird, der Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte, ist utopisch. Denn vor 100 Jahren boomte der Fremdenverkehr in Rengsdorf. "Damals war fast jedes zweite Haus ein Gasthaus, und es wimmelte nur so von Leuten, die hierher ,in die Sommerfrische" gefahren waren", weiß Magdalene Krumnow. Sie hat für die im vergangenen Jahr erschienene Chronik "1150 Jahre Rengsdorf" gemeinsam mit Ilse Hoffmann die Historie der Cafés, Hotels und Fremdenheime aufgearbeitet.

Darin hat sie auch die Geschichte zweier Häuser beleuchtet, die vor genau 100 Jahren gebaut wurden: des Forsthauses und der Pension Viktoria. Nicht nur weil diese Bauten sichtbare Zeichen des damals pulsierenden Fremdenverkehrs sind, lohnt ein Blick zurück. Beide Häuser haben auch eine bewegte Geschichte - zum Beispiel als Bayer-Erholungsheim oder als KPD-Kaderschmiede:

Ein Forsthaus am Rengsdorfer Römergraben gibt es schon um die Jahrhundertwende. 1908 beantragt dann "Frau E. Hartmann" den Bau einer Villa und so entsteht die Pension Forsthaus, die vielen und für lange Zeit als das schönste Hotel im Ort gilt.

 

"Telephon Nr. 8"

Die Betreiberin wirbt 1912 im "Führer für den unteren Westerwald" nicht nur mit der "herrlichen Wald- und Aussichtslage", sondern hebt auch hervor, dass das Haus über eine Zentralheizung und eine Badeeinrichtung verfügt. Zu erreichen ist die Pension unter "Telephon Nr. 8".

Frau E. Hartmann stirbt allerdings schon wenige Jahre nach dem Bau. Ihr Witwer Wilhelm Hartmann, der noch wirklich Förster von Beruf ist, heiratet daraufhin 1919 seine ehemalige Hausdame Erna Kleinecke. Diese führt die Pension, die 1928 über 60 Betten verfügt, bis 1940 weiter, ehe sie sich zum Verkauf entschließt.

Gerade recht kommt ihr da am 6. Oktober 1940 eine Anzeige in der Kölnischen Zeitung: "Größeres Industrieunternehmen im Rheinland sucht im Westen in gesunder Höhenlage gelegenes Grundstück mit Gebäuden geeignet für Erholungs- und Sportzwecke", hat die IG Farben in Leverkusen (vorher und später wieder "Bayer") inseriert. Im November wird der Vertrag mit einem Kaufpreis von 32 500 Reichsmark für beide Häuser samt Garten und allem Inventar unterzeichnet.

Doch zunächst hat das Chemieunternehmen davon nur wenig: 1943 beschlagnahmt die Wehrmacht das Haus, und ein Jahr später richtet sie ein Lazarett ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt Bayer den Betrieb aber schnell wieder auf. Im Mai 1946 schon kommen die ersten Gäste: Es sind Schwerarbeiter aus dem Werk in Leverkusen, die mit Interzonenpässen (NRW ist britisch besetzt, Rengsdorf liegt in der französischen Zone) anreisen und ihre Verpflegung selbst mitbringen müssen. In den Nachkriegsjahren wird das große Haus dann vollkommen saniert und ist über Jahrzehnte fast immer voll ausgebucht.

 

2000 Gäste jährlich

Das Erholungsheim ist bei den Leverkusenern so beliebt, dass zeitweise bis zu 2000 Menschen jährlich nach Rengsdorf fahren. In den 70er-Jahren, als die Deutschen immer häufiger ins Ausland reisen, nehmen die Zahlen jedoch ab. Zwar baut Bayer 1980 und 1988 noch um, doch schon ab 1990 dient das Haus nicht mehr nur als soziale Einrichtung für Werksangehörige, sondern heißt jetzt "Seminar- und Freizeit-Hotel - Bayer Gastronomie" und steht jedem offen.

2001 verkaufen die Leverkusener dann an die TUI, die es ihrem Rengsdorfer Tochterunternehmen "Berge & Meer" verpachtet. Noch ein Jahr lang führt der neue Eigentümer das Haus als "Hotel-Restaurant am Römerpark", dann kommt das Aus: Das kleine Haus muss samt Rezeption einem neuen großen Anbau weichen. Hierin und im alten "großen Forsthaus" sitzt das Rengsdorfer Touristikunternehmen noch heute.

Ebenfalls am Römergraben liegt die Pension Viktoria, die 1908 entsteht. Sie gehört zunächst einer Familie Neitzert, die es jedoch schon 1910 an Herbert Schuh verkauft. Der baut einen Seitenflügel an und richtet hierin ein - so schreiben Magdalene Krumnow und Ilse Hoffmann - "wunderschönes" Café ein. Auch er wirbt 1912 im schon erwähnten Führer und verweist auf Lage, Aussicht, gute Küche und "aufmerksame Bedienung". In den 20er-Jahren finden hier an den Wochenenden regelmäßige Tanzveranstaltungen statt, während das Haus in den beiden Weltkriegen als Lazarett dient.

Nach dem Krieg verkauft Emilie Meyer, geborene Schuh, das Haus dann für 50 000 DM an die Hansa-Grundstücksgesellschaft in Düsseldorf - und plötzlich findet sich für das Hotel ein völlig anderer Verwendungszweck: Die "Jonny-Scheer-Schule" zieht 1951 ein. Deren Lehrer schulen Gruppenfunktionäre der KPD.

Wenngleich die Schulungen nicht unumstritten sind, wird das Verhältnis zu Nachbarn und Bürgern von Rengsdorf als korrekt und freundlich beschrieben. Der ehemalige Leiter Günter Judick lässt in seinen Erinnerungen darüber hinaus nicht unerwähnt, dass die Lehrgangsteilnehmer in einer Rengsdorfer Gaststätte gern als Tänzer gesehen sind. Einige Absolventen finden sogar unter den jungen Rengsdorferinnen ihre späteren Ehefrauen.

 

KPD wird 1956 verboten

Doch 1956 wird die KPD verboten, und spätestens ab dann - das genaue Datum lässt sich nicht mehr rekonstruieren - ist die Schule geschlossen.

1959 eröffnen Hans und Else Bürschgens das Haus wieder als Hotel mit Café. Die Besitzer wechseln in der Folge einige Male, ehe Wilfried Bierbrauer das Café 1984 in die "Römerschenke" umwandet und diese bis Ende der 80er-Jahre betreibt. Im März 1990 wechselt das komplette Haus wieder den Besitzer, und Dr. Manfred Neitzert wandelt es in ein Drei-Familien-Mietshaus um. Im ehemaligen Café wird 1991 ein zahntechnisches Labor eröffnet. Das gibt es noch heute.

 

Ulf Steffenfauseweh

RZ vom 26.07.2008

 

Das Forsthaus diente lange Zeit als Erholungsheim von Bayer Leverkusen. Heute beheimatet es die Firma "Berge & Meer". Unser Bild stammt aus den 70er-Jahren, als das freistehende "kleine Haus" links noch nicht abgerissen war.

Dieses uralte Foto zeigt das Lesezimmer des Forsthauses. An der Wand links hängt noch ein Bild von Kaiser Wilhelm II.

Die Pension Viktoria war Anfang der 50er-Jahre als "Jonny-Scheer-Schule" KPD-Kaderschmiede. Die alte Postkarte, die hier abgedruckt ist, kann nicht genau datiert werden. Klar ist, dass sie das Haus in seinen Anfangstagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt. Allerdings ist die Fassade schon verputzt, was beim Originalbau 1908 noch nicht der Fall war.

Fotos: Archiv Karl Hoffmann, Digitale Bearbeitung: Rolf Weingarten

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